Zum neuen Jahr kann man ja auch etwas zurückblicken dachte ich mir. Es wurde die etwas unberechtigte Kritik geäußert, hier im Bauforum kämen ökologische Apekte zu kurz. Unberechtigt daher, weil es durchaus zahlreiche Themen gibt, die hier teils auch enorm kontrovers diskutiert wurden. So ging es um Flächenversiegelung hier und hier in Mobilitätsfragen, und hier und hier ging es um die starke Versiegelung und Zersiedelung am Eselsberg. Dazu habe ich auch hier ein sehr plakatives Beispiel aus dem Illertal mit dem gleichen Phänomen vorgestellt.
Es gab Diskussionen zu Fassadengestaltungen im Sinne des Vogelschutzes z.B. hier. Sowie zahlreiche Bekundungen bezüglich Klimawandel zu einer begrünten Stadtlandschaft, einer guten Entwässerung, ökologischen Energiegewinnung und energetische Sanierung waren Themen. Hier waren dann Steingärten das Thema, auch wieder aus klimatischer und ökologischer Sicht - natürlich auch aus stadtgestalterischer.
Dann gab es die Diskussion über die Gewässerökologie am Beispiel des regelmäßigen und fortwährenden Aushubs aus der Donau. Diese hat mich auch veranlasst mich ein wenig weiter mit der Iller zu beschäftigen. Da das Thema auch auf Interesse hier im Forum stieß und ich gerne den Stand des seit 2017 laufenden Projekts ,,Agile Iller" im Forum repräsentiert sehen würde, kommt nun die Vorstellung des auf 10 Jahre projektierten Anlaufs zur weiteren Renaturierung des Iller.
Zunächst einmal ein Zeitzeuge, der berichtet wie schlecht es dem Fluss eigentlich lange Zeit ging, sodass alle auf einem ähnlichen Stand sind: https://www.riffreporter.de/fi…-der-iller-renaturierung/
ZitatDann legten Planer und Ingenieure bis 1894 die Iller in ein neues Bett aus Betonplatten. Fast gerade, dadurch deutlich kürzer, also auch steiler und gleichmäßig 52,5 Meter breit. Seitdem war die wilde Iller - jedenfalls in ihrem Unterlauf bis zur Mündung in die Donau bei Ulm - fest einzementiert. Zweck der Maßnahme: Hochwasserschutz und Landgewinnung.
[...]
Der Kanal hatte Vorrang, in der Iller verblieb lediglich das Restwasser. Mal viel und mal wenig. Und, wenn´s sehr trocken war, gar nichts. Dann wurde aus dem Wildfluss eine Weiherkette. Das Kiesbett lag hell und trocken in der Sonne, die Forellen schnappten in den übrig gebliebenen stinkenden Tümpeln nach Luft. Das wenige Wasser, das auch im Sommer aus den Bergen kam, wurde unbarmherzig in den Kanal geleitet. Der Auwald mit seinen feuchten Gräben und Tümpeln trocknete aus[...].
Dazu muss man Wissen, dass es Regelungen bezüglich Trockenheit gibt: ,,Allerdings darf dem Kanal nur so viel Wasser entzogen werden, dass Turbinenkraftwerke weiterlaufen und Strom erzeugen können." Quelle: https://www.augsburger-allgeme…ser-knapp-id51943936.html
Aus diesem Zustand hervorgehend wurden schon vor dem heutigen Projekt zahlreiche Anpassungen an dem Fluss wieder vorgenommen. Am bekanntesten dürfte der Abbau zahlreicher Staustufen sein (diese hatten ihre Wirkung verfehlt, da mit ihnen bereits ab 1901 schon verzweifelt versucht wurde, das unterschätzt schnell voranschreitende Eingraben der Iller aufzuhalten), sowie die große Maßnahme bei Vöhringen, bei der die Iller aufgeweitet und angehoben wurde (Planung & Umsetzung +15 Jahre). Auch haben manche eventuell Rohre gesehen: Diese leiten Wasser vom Kanal in den trockenen Auwald.
Bildrechte: Gerhard Richter
Vorher: https://www.augsburger-allgeme…n-geplant-id57802551.html
Nachher: https://www.augsburger-allgeme…Besserung-id53320391.html
Und auch da schon gab es große Diskussionen um nasse Keller und Hochwasser. Beides letztlich unzutreffend. Der Grundwasserspiegel sinkt langsam weiterhin. Auch weitere Maßnahmen wurden ergriffen, besonders im weiteren Oberlauf, der jedoch den Umfang sprengen würden.
Jedoch gab es auch weitere Eingriffe im nicht flussökologischen Sinne: So wurden weitere Kraftwerke in der Iller an ihren Zuläufen und an Parallelwasserläufen errichtet, welche natürlich der Iller selbst das Wasser streitig machen und z.B. für das Aussterben der wandernden Aale verantwortlich ist. 2014 wurde ein Kraftwerk bei Sulzberg bei Kempten errichtet (damals schon mit einem Forschungskraftwerk mit der TUM mit VLH Turbine, die auch geringste Wasserhöhen noch nutzen kann aber auch nur <1MW erzeugt), 2017 ein weiteres Kraftwerk bei Au (Zitat: ,,Da es sich UIAG Kanal um eine künstliche Ausleitungsstrecke handelt, werden die Abflussdaten der durch den Neubau der Wasserkraftanlage am Auslaufbauwerk nicht beeinflusst." Also sprich im Kanal kann man alles machen?), 2019 das Kraftwerk Illersprung an einem Quellfluss der Iller, wofür eine 2,35km lange Druckleitung verlegt wurde (hierbei gab es harsche Kritik ,,wichtigste Gewässer für selbsterhaltende Bachforellenpopulationen im gesamten Illereinzugsgebiet. [...]Lebensraum für etliche Rote-Liste-Arten, wie zum Beispiel die Koppe."). Dazu kamen zahlreiche Anläufe zu neuen Kraftwerken z.B. bei Bellenberg gab es Planungen 2013 für ein konventienelles Wasserkraftwerk, 2019 bei Senden Ay, zur Errichtung eines weiteren Ablaufs (Durchstich) von der Iller mit Turbinenkraftwerk, und ein Münchner Unternehmen möchte acht Kraftwerke in die Iller selbst bauen, siehe Grafik unten über die Standorte. Eines dieser wird das in Bau befindliche Kraftwerk bei Illertissen sein.
Kritisch sind die Kraftwerke, weil fälschlich davon ausgegangen wird, dass die Neuen immer besser sind wie die Alten, das hat aber die TUM unter anderem mit erstgenanntem Kraftwerk widerlegt. Und es wurde schon angedeutet, die Kraftwerke erzeugen meist keinesfalls viel Strom, z.B. die von SWU betriebene 2019 auf den aktuellen Stand gebrachte nicht so kleine Anlage bei Neu-Ulm leistet 1,6 MW.
Bildrechte: Werner Gallbronner für SWP Artikel vom September über Illerkraftwerksbau.
Schöne Bilder von der Planungsfirma für die Kraftwerke zum verbauten Zustand der Iller: https://www.iller-schachtkraftwerke.de/standortkonzept/
Das jetzige Projekt ,,agile Iller" ist mit 70 Mio. Euro ausgestattet und soll sich dem Illerabschnitt zwischen Mündung und Aitrach bei Memmingen widmen. Dazu hier der jetzige Zustand:
Quelle: Bayrisches Landesamt für Umwelt; Pink sind bestehende Naturschutzgebiete, blau Trinkwasserschutzgebiete (hier auch nochmal zeigt sich, dass Maßnahmen sehr wohl in Trinkwasserschutzgebieten möglich sind -entgegen der Aussage im Kiesbaggern Thread), die Farben am Fluss geben dessen Gewässerstruktur an verbunden mit den bestehenden Verbauungen im Fluss, welche auch nochmal nach deren Qualität abgestuft sind. Am Rande sei dazu erwähnt, dass gerade erst im November 2020 von Bayern weitere Staatsforsten an vielen Orten aber auch an der Iller zu Naturwäldern erklärt wurden. Dies gilt als erster Schritt zur Umwandlung in einen schutzwürdigen Waldbestand.
Was ist so problematisch am bisherigen Zustand? Die Europäische Wasserrahmenrichtlinie. Jene fordert bis 2027 ein „gutes ökologisches Potenzial“ bei Gewässern wie der Iller. Ziel sei ein naturnahes Fließverhalten. Deutschland verstößt auch heute schon mit seinen Gewässern dagegen vielleicht sogar gegen das Verschlechterungsverbot, was sich in dem oberen Text denke ich zumindest ahnen lässt. Daher ist dieses Projekt wichtig.
Was soll nun im Projekt angegangen werden? Die Vielzahl der Einzelmaßnahmen, welche punktuell ansetzen lässt nur eine stichwortartige Aufzählung zu, kann aber hier nachgelesen werden im Detail:
Höhe Gerlenhofen, Rückverlegung Deich und Radweg zu Kanal und Bundesstraße, Uferverbauentfernung, Ausleitung in Aue
Höhe Senden Ay, Fischaufstieg und Rampe an Ayer Wehr, Ausleitung in Aue, Verlängerung der Solaufhöhung, Aufweitung uä. fortgesetzt von Vöhringen
Höhe Bellenberg, Wegerückverlegung, Buhneneinbau, Uferverbauentfernung
Höhe Au, Uferverbauentfernung, Mündungsbereiche Auegewässer
Höhe Illertissen, Verbesserungen zum Entstehen und Stärken von Seitenarmen, Umgehungsrinne an Betonschwelle Verbesserung, unterstromige Anbindung der Auswälder, Buhneneinbau, Uferverbauentfernung, Bau einer Fischaufstiegsanlage
Höhe Herrenstetten, neuer Seitenarm, Bau einer Fischaufstiegsanlage
Höhe Altenstadt, Bau einer Fischaufstiegsanlage, Wegerückverlegung, Uferverbauentfernung, Umbau Sohlrampe, forcierte Mäandrierung
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Bei Interesse kann ich auch noch die weiter südlichen Maßnahmen aufführen, heute fehlt mir die Zeit dazu.
Persönlich sehe ich es als problematisch an, dass sämtliche Maßnahmen möglichst ohne Grunderwerb vonstatten gehen sollen. Damit nimmt man sich die Chance dem Fluss substanziell mehr Raum zu geben. So ist auch zu erklären, warum z.B. an der Neu-Ulmer Mündungsschleife nahezu nichts passieren wird. Bei Heimertingen droht das Projekt zu scheitern, weil die Flächen nicht zur Vefügung stehen. Auch werden nur zwei Abschnitte substanziell verändert, nämlich bei Senden Ay und Altenstadt, was mir persönlich zu wenig ist. Ich sehe es aufgrund des Klimawandels als essentiell an, für steigende Grundwasserspiegel im Illertal zu sorgen, was bei heutigen 8 Metern Tiefe bei Vöhringen (nur private Stichprobe) keine Gefahr für irgendeine Bebauung darstellen sollte.
Um den diskutierten Hochwasserschutz Ulms zu gewährleisten kam mir noch - neben der Aufweitung der Iller - warum nicht die Flüsse Roth und Günz zur Hochwasserspitze als Entwässerung anschließen. Ich weiß, sehr teuer. Aber es sind keine Gebirgsflüsse und könnten bereits den Regen abgeführt haben, bevor die Iller ihren Peak hat. Aber ist jetzt vielleicht etwas zu weit hergeholt^^
Noch ein wenig weitere Lektüre:
Hier findet sich eine ökologische Bestandsaufnahme zur Iller: https://www.agile-iller.de/wp-…skonzept-Untere-Iller.pdf
Hier nochmal zum Abschluss ein Artikel zum Spannungsfeld Stromgewinnung und dem Projekt ,,Agile Iller": https://www.sueddeutsche.de/ba…chutz-kraftwerk-1.4914895