Hallo Finn, hier eine Replik zu einigen Deiner Äußerungen. Wie Du selbst neige ich dazu, in Diskussion zuzuspitzen. Das ist nicht persönlich gemeint, ich will nur zum Nachdenken anregen.
Bei den beiden Beiträgen würde ich mich eher Rüdiger als Nebenstelle anschließen. Ich tue mich nämlich mit historischen Rekonstruktionen - mehr oder weniger also Historismus -, mit Begriffen wie "lokale Bautradition", und mit der Gegenüberstellung von alt und neu als gut und schlecht ein bisschen schwer.
Ich würde statt nach historisch und modernistisch zu unterscheiden lieber einfach die allgemeine architektonische Qualität als Maßstab gelten lassen. Wir sollten nicht alt oder modern bauen, sondern gut. "Gut" kann je nach Lage und Umgebung ganz Unterschiedliches bedeuten. In Straßenzügen mit historischer Substanz - zum Glück ja gar nicht so wenige - soll und muss man zum Beispiel mit Bedacht und Augenmaß vorgehen - vorsichtige Sanierungen und Aufstockungen, zurückhaltende und angepasste Architektur, die die Formsprache der Umgebung aufnimmt. Für meine Begriffe schließt das nicht aus, auch mal gezielt Kontraste und Reizpunkte zu schaffen - Rathaus und Bibiliothek, Schwörhaus und Synagoge, Münster und Stadthaus. Aber das funktioniert halt nur, wenn die architektonische Qualität stimmt.
Es gibt sicherlich auch gute moderne Architektur, aber man muss sie in Deutschland leider mit der Lupe suchen - insbesondere dann, wenn es nicht um Solitäre, sondern um die Gestaltung von Stadträumen geht. Deswegen ist es leider so, dass die Gleichsetzung von modern und schlecht auf der einen Seite, und alt und gut auf der anderen in der Regel zutrifft.
Es kann keine Rede davon sein, "auch mal gezielt Kontraste und Reizpunkte zu schaffen" - davon haben wir doch bereits viel zu viel. Stattdessen stellt sich doch eher die Frage, wo noch historische Ensemble ohne einen modernen Kontrast zu finden sind. Auf Bildern, insbesondere Luftbildern des alten Ulm sieht man, was Ensemblewirkung ist; dieser Aspekt ist beim heutigen Stadtbild doch vollkommen verlorengegangen.
Klar, es ist ein Jammer, was in Ulm so alles an historischer Bausubstanz unwiederbringlich verloren gegangen ist. Es gibt mir immer einen kleinen Stich ins Herz, wenn ich zum Beispiel durch Schweizer Städte gehe und mir anschaue, wie es auch bei uns anfühlen könnte... und wenn ich in alten Stadtansichten schmökere, will ich an dem Tag manchmal gar nicht mehr in die heutige Stadt.
Und doch, Rekonstruktionen, erst recht nach mehreren Jahrzehnten, finde ich gewissermaßen unehrlich. Auch der Krieg und die Nachkriegszeit bis hin zu unserer Gegenwart gehören zur Ulmer Stadtgeschichte dazu; diese Zeiten haben natürlich ebenso ein Anrecht auf einen Platz im Stadtbild wie alle anderen.
Ja, es ist ein Jammer, und viele wissen gar nicht, wieviel tatsächlich in Ulm verlorengegangen ist. Deswegen müssen wir das Verlorengegangene, soweit es irgend möglich ist, rekonstruieren.
Was soll an Rekonstruktionen unehrlich sein? Ist Ehrlichkeit eine Kategorie, mit der wir Architektur und Städtebau beurteilen sollten? Ist Venedig unehrlich, weil der Campanile und das Fenice Rekonstruktionen sind? Sollten wir überhaupt aufhören, Häuser zu renovieren, weil es unehrlich wäre, die Spuren der Zeit zu beseitigen? Wäre es nicht ehrlicher gewesen, wenn Ulm nach dem Zweiten Weltkrieg in Ruinen geblieben wäre, und wir dort heute noch hausen würden?
Meine Antwort darauf lautet: Nein. Bringen wir stattdessen an jedem rekonstruierten Haus eine gut sichtbare Plakette an, die besagt, dass es sich hierbei um eine Rekonstruktion handelt. Damit ist der Ehrlichkeit Genüge getan.
Welcher Anteil Ulms besteht denn nun aus historischer Architektur (d.h. Baujahr vor 1914, oder, bei Ausschluss der Gründerzeit, vor 1850)? Das ist doch nun wirklich minimal, von daher erübrigt sich der Hinweis, dass auch die Moderne und die Gegenwart ein Anrecht auf Repräsentation im Stadtbild hätten. Im Gegenteil, wir leben in der historisch völlig einmaligen Situation, dass unsere Städte in Deutschland im wesentlichen durch eine Epoche geprägt sind. Wie viele barocke Bauten gibt es denn beispielsweise noch in Ulm, nach der Zerstörung und dem mutwilligen Abriss von Bauten wie dem Deutschhaus? Und wie viele Fünfzigerjahre-Bauten gibt es?
Andere Viertel sehe ich dagegen als tabula rasa, darunter eben auch die Gegend um die Sedelhofgasse. Brutal formuliert: da ist nichts mehr zu retten, schon lange nicht mehr. Und wenn man irgendwo wirklich komplett freie Hand hat, dann ist es völlig okay - und vielleicht schon eine Pflicht -, zeitgemäß zu bauen. Wenn halt die Qualität stimmt. "Modern" muss ja echt nicht, wie Rüdiger und panpikus meinten, gleich eine banale Materialschlacht mit Glas und Beton und weiter nicht viel bedeuten. Da gibt es so viel, was einem gute zeitgenössische Architekten zu bieten haben; panpikus hat's angedeutet...
Ja, so kann man denken. Prinzipiell hast Du sogar recht, und mir wäre die Rekonstruktion historischer Architektur an anderer Stelle in Ulm auch wichtiger. Insbesondere das Wengenkloster östlich und der Bahnhofplatz östlich des besagten Gebietes wären aber meiner Meinung nach schon Ansatzpunkte für Rekonstruktionen.
Blickt man zurück, so ist es doch so, dass die Moderne auch dann nicht zu guten Ergebnissen führt, wenn sie freie Hand hat und eine tabula rasa vorfindet. Die westliche Innenstadt war doch nach dem Krieg im Prinzip eine tabula rasa, oder wurde durch Abrisse dazu gemacht. Und was hat die Moderne daraus gemacht? Richtig, eine Architekturwüste, die uns solche unterirdischen Bauten wie den Bahnhof, Sport Sohn oder die spießigen Flachbauten in der Wengengasse beschert hat.
Warum glaubst Du, dass es dieses Mal, bei den Sedelhöfen, anders sein sollte als bei den vergangen Chancen, die westliche Innenstadt wiederaufzubauen? Glaubst Du nicht, dass die Menschen in den Fünfzigerjahren ähnlich optimistisch waren, und dann ist so ein Müll rausgekommen wie die Zeilenbauten in der westlichen Neuen Straße oder der südlichen Frauenstraße? Bei den Visualisierungen der Sedelhöfe sieht man doch bereits, dass es nichts wird. Allein die mangelnde Anbindung an die restliche Innenstadt ist schon ein Grund anzunehmen, dass die Sedelhöfe funktionieren werden wie ein Fremdkörper, wie ein Blautal-Center in der Innenstadt.