Zu meiner Jugendzeit war es normal, dass mehrere Kumpels Teil der Graffiti-Szene waren (andere, größere Stadt). Graffiti reicht min. bis zu den Römern und wird vermutlich nie verschwinden, so lange es öffentliche Räume gibt. Ich schätze die Kunst daran sehr und kenne die Gestaltungs-Prinzipien aus nächster Nähe.
Aber neben der Kunst gibt es noch andere Aspekte, die für städtisches Leben nicht unerheblich sind. So vermitteln Graffitis Gesetzlosigkeit. Für den einen wird der öffentliche Raum zum Angstraum: Stell dir vor du bist Bürgerkriegsflüchtling und an den Wänden an deiner neuen Heimat in der du Schutz suchst, klaffen Slogangs derjenigen, die dir in der alten Heimat an die Gurgel wollten. Für den Nächsten wird der öffentliche Raum zum Spielfeld: Stell dir vor du willst ein krummes Ding drehen und die Wände um dich herum sagen dir, du hast alle Zeit der Welt. Und für wieder Weitere ist erst die Existenz bestehender Graffitis der Grund Teil der Szene zu werden – was teils mit erheblichen Einbußen in Punkto Aufstiegschancen verbunden ist. Die meisten werden irgendwann erwischt, die Schadensersatzansprüche können in die Tausende gehen. Was auch daran liegt, dass tatsächlicher Schaden entsteht.
Der Vollständigkeit halber sei auch das Gute an der Gesetzlosigkeit erwähnt: Sie holt uns zurück auf den Boden der Tatsachen. Ja, da an der Wand klafft ein Slogan den du unerhört findest, dumm, vielleicht sogar abscheulich. Es gibt da draußen Menschen mit diesen Meinungen, oder die es einfach nur lustig finden dich zu triggern. Das entrückt manchen aus seiner Bubble. Einschließlich jener Bubble zu denken, er wüsste zu jeder Zeit bescheid, was sich in seiner Gegend tut, von Sonntag Abend bis Sonntag Morgen, aber während dieser Zeit nimmt derselbe Öffentliche Raum komplett andere Formen an.